Evang. Kirchengemeinde
Markus-Haigst
Römerstraße 41
70180 Stuttgart
Tel. 0711 / 60 62 59

Die Orgel

Eine umfangreiche Diskussion, welche im letzten Jahrhundert um die liturgische Aufgabe der Protestantischen Kirche geführt wurde, befasste sich unter anderem mit der Frage nach dem angemessenen Standort für Kanzel und Orgel. Eine Reformbewegung verfocht eine neue, bewußt protestantische Lösung: das Hervorheben der Orgel “im Angesicht der Gemeinde”. Durch die liberale Einstellung der württembergischen Landeskirche zu diesem Punkt, konnte Dolmetsch den mächtigen steinernen Orgelprospekt für die Markuskirche entwerfen.

Erstes Instrument mit elektropneumatischer Traktur

Dieser Orgelprospekt, der bis heute eine Besonderheit im Orgelbau ist, hat die Orgelbaufirma Walcker vor eine schwierige Aufgabe gestellt. Da das heutige Mittelfeld hinter dem Kreuz zur Bauzeit noch völlig frei war, verteilten sich die damals 55 Register (einschließlich 10 Transmissionen) auf den Raum links und rechts des Kreuzes. Das Pfeifenwerk des zweiten Manuals befand sich tiefer liegend im Bereich der hölzernen Gittertüren. Die somit etwas eingeschränkte Klangabstrahlung wurde mit einer verhältnismäßig kräftigen Intonation einzelner Grundstimmen und der Erzeugung eines hohen Winddrucks ausgeglichen. Überhaupt entsprach die Klanggestalt der Markusorgel dem damaligen Zeitgeschmack. Sie ist dem Typus der deutsch-spätromantischen Orgel zuzurechnen und war das erste Instrument in Württemberg mit elektropneumatischer Traktur, welche eine relativ exakte Tonansprache, leichte Spielart und eine freie Wahl des Aufstellungsortes für den Spieltisch ermöglichte. Stark beeinflußt von der symphonischen Literatur der Zeit waren die zeitgenössischen Orgeln -und so auch die Markuskirchenorgel- dynamisch fein dosierbar, wobei der klangliche Schwerpunkt auf einer ausgeprägten Grundtönigkeit lag. Im Abnahmegutachten von 1908 heißt es unter anderem: “In Ausdrucksfähigkeit und Elastizität der Tongebung steht nun die Markuskirchenorgel allen hiesigen Kirchenorgeln -die Stiftskirchenorgel nicht ausgenommen- voran.”

Weitere Entwicklung

Im zweiten Weltkrieg wurden hauptsächlich die Fenster beschädigt. Auch das große Rundfenster hinter dem Orgelprospekt an der Westwand war zerstört. So entschied man sich, anstelle eines neuen Fensters der Orgel mehr Platz zu geben und das Mittelfeld als Raum für eine Vergrößerung der Orgel zu nutzen. Mittlerweile hatte sich der Klanggeschmack im Orgelbau so drastisch in Richtung einer eher klassisch-barocken Klangfärbung geändert, daß auch eine Umgestaltung der Disposition geboten schien. Da die bisherige Verstärkung der Orgel durch immerhin 10 Transmissionen (Mehrfachverwendung von Pfeifen für verschiedene Register) klanglich nicht mehr akzeptabel schien und der Winddruck zur Erzielung eines leicht barocken Klangbildes gesenkt wurde, mußte die Orgel um einige Register vergrößert werden, wollte man keine Einschränkung in der Gesamtdynamik hinnehmen. Der erste Umbau dieser Art wurde 1955 unter Federführung von Karl Gerok und Walter Lutz durchgeführt 1969 erfolgte der zweite größere Umbau der Orgel nach Plänen des Orgelsachverständigen und Markusorganisten H. Liedecke. Hierbei wurden, neben einer erneuten Umstellung der Register, die alten Kegelladen durch Schleifladen ersetzt, wobei sich Liedecke wieder für eine elektropneumatische Traktur entschied.

Die Orgel der Markuskirche hat trotz der zahlreichen klanglichen und technischen Veränderungen nie ihren weichen und grundtönigen Charme eingebüßt, der von ihrer romantischen Herkunft rührt. Gerade zur Interpretation spätromantischer Literatur genießt sie auch heute noch einen hervorragenden Ruf. Namenhafte Organistinnen und Organisten spielten und spielen regelmäßig auf diesem wunderbaren Instrument.